Mittwoch, 3. Juli 2013

ROMULUS (Skizze)

Er hatte nun fast alles zusammengetragen, was er wissen musste: Die übermächtige, bewusstlos lebende Mutter. Die grausam zu ihm war. Auf eine doppelte Weise. Gutes mischte sich mit Bösem, das seine Mutter für das Gute, Notwendige ihrer Erziehung hielt. Sie konnte nichts dafür. So, mit diesen Maßstäben war aufgewachsen. Wenn einer nicht so empfindlich gewesen wäre wie er, dann wäre alles etwas ganz Normales geworden. Aber er war nun einmal ein sensibles Kind. Ein übersensibles sogar. Da hatte er begonnen, sich gegen sie aufzulehnen. Auf eine verdeckte Weise. Diese Auflehnung hatte sich später gegen ihn selbst gewandt. Er litt darunter. Er kam nicht zu dem, was ihm bestimmt war. Er hätte Mathematiker werden sollen. Er war es nicht geworden. Sein Denken war von einer beständigen Nervosität gelagert. Auf diesem schwankenden Boden ließen sich Zahlen nicht behandeln. Ihre scharfen Ränder wurden unscharf und ihr Inhalt zu Glibber. Immerhin hatte er ein fast mathematisches Modell entworfen: In der Mitte sein Ich, und daran Fäden. Gummifäden, um genau zu sein. Unterschiedlich dick und unterschiedlich dehnbar. An diesen Fäden zogen die Einflüsse aus seiner Kindheit. Da wo er stand, wollte er nicht stehen. Er wurde hin und her gezogen. Sie hatten ihn an den Rand des Abgrunds gezogen. Er taumelte ständig. Das Wunder war, dass er nie über diesen Rand in die Tiefe gestürzt war.