Donnerstag, 15. März 2018

Boualem Sansal

Was können wir daraus lernen?


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FAZIT / ARCHIV | Beitrag vom 31.05.2016

Schriftsteller Boualem Sansal


Boualem Sansal im Gespräch mit Sigrid Brinkmann

Boualem Sansal ist unbestritten der wichtigste algerische Gegenwartsautor. Seine Bücher veröffentlicht er wegen seiner regime- und islamkritischen Haltung nur in Paris. Derzeit ist er auf Lesereise in Deutschland.

Boualem Sansals Buch "2084. Das Ende der Welt" und Michel Houllebeqs Roman "Unterwerfung" gehörten letztes Jahr in Frankreich zu den meistdiskutierten literarischen Werken. Houellebecq verlegt die Handlung ins Jahr 2022, dann hat Frankreich einen muslimischen Präsidenten. In Sansals Fiktion ist sogar eine planetare Glaubensdiktatur Realität geworden.

Sigrid Brinkmann sprach mit Boualem Sansal über diese Themen:

  • Trifft Ihre pessimistische Beschreibung eines weltweiten religiösen Regimes den Angstnerv der Franzosen?
  • Was bringt Sie zu einer solch düsteren Annahme?
  • Sind Sie pessimistischer als Houellebecq, weil Sie in Algerien im Alltag erleben, wie Islamisten die Gesellschaft einschüchtern und die Regierung die religiösen Kräfte weniger bekämpft als noch in den 90er-Jahren?
  • Bei Ihrem Buchtitel denkt man an George Orwells Zukunftsroman "1984", es gibt ein paar Anspielungen darauf in Ihrem Roman, aber es ist letztlich unerheblich. Warum haben Sie diese Spur dennoch gelegt?


Das ungekürzte Interview im Wortlaut:

Sigrid Brinkmann: Boualem Sansal, der 2011 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde und in Frankreich viele Literaturpreise erhielt, ist unbestritten der wichtigste algerische Gegenwartsautor. In Algerien allerdings kann sich der Schriftsteller wegen seiner regime- und islamkritischen Haltung nur vorsichtig bewegen. Auch deshalb veröffentlicht er seine Bücher nur in Paris. Boualem Sansals Buch "2084. Das Ende der Welt" und Michel Houllebeqs Roman "Unterwerfung" gehörten letztes Jahr in Frankreich zu den meist diskutierten literarischen Werken. Houellebecq verlegt die Handlung ins Jahr 2022: Dann hat Frankreich einen muslimischen Präsidenten. In Sansals Fiktion ist eine planetare Glaubensdiktatur Realität geworden. Ich habe Boualem Sansal gefragt, was ihn zu einer solch düsteren Annahme bringt?

Boualem Sansal: Ich bin von einer ganz konkreten Situation ausgegangen. Es gibt viele Länder – den Iran, die Türkei, Algerien oder Marokko – in denen das Religiöse sich immer stärker in die Gesellschaft und die Institutionen hineinfrisst. Die Tendenzen zum Prophetischen, zum Totalitären sind beunruhigend. Es geht um die Re-Islamisierung der Bevölkerung unter fundamentalistischen Vorzeichen: das Gesetz Allahs soll nicht nur bei staatlichen Institutionen gelten, sondern auch für das Denken der Menschen. Das Phänomen hat sich seit etwa 30 Jahren in zahlreichen arabischen Ländern ausgebreitet; zuletzt auch in einst laizistischen Ländern wie Algerien, Libyen, dem Irak oder Syrien. Und es geht immer weiter, sogar ansatzweise bis nach Europa. Das ist eine immer stärkere Bedrohung für unseren gesamten Planeten.